Hass im Netz kann durch handwerklich gut gemachte Rechtsnormen, geschulte Behörden und Kooperation mit Internetdiensten wirksam bekämpft werden.

Der tragische Tod von Lisa-Maria Kellermayer

Der Fall Lisa-Maria Kellermayer hat international Aufsehen erregt:

Die Ärztin blieb nicht nur mit ihrer Entdeckung eines Medikaments zur Behandlung von Covid ungehört, sondern wurde wegen ihres Einsatzes für sinnvolle Covid-Massnahmen mit Hassmails zugeschütttet und mit dem Tod bedroht.

Die oberösterreichische Polizei hatte die Lage nicht nur falsch eingeschätzt sondern durch ihren Polizeisprecher dem Opfer in hämisch wirkender Weise Profilierungsabsichten unterstellt und sie einer Falschmeldung bezichtigt.

Sie erhielt keinen angemessenen Polizeischutz und wurde zum Ziel von fanatischen Impfgegnern.

Lisa-Maria Kellermayer musste wegen der Bedrohung ihrer Sicherheit und wegen des offenkundigen Versagens der Behörde zur Gewährleistung ihrer Sicherheit nicht nur ihre Praxis schliessen, der mangelnde Schutz hat sie Ende Juli 2022 in den Suizid getrieben.

Nikolaus Forgo hat in der ZIB 2 vom 4. August 2022 einige Versäumnisse aufgezeigt und auf die mangelnde rechtliche Umsicht im Hinblick auf das EU-Recht hingewiesen, die das österreichische Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz – HiNBG im Fall Lisa-Maria Kellermeyer blass aussehen lassen. Wie sich spätestens jetzt zeigt, hat es zuviel versprochen1, ohne das Versprochene handwerklich abzusichern und logisch umsetzungsfähig zu gestalten2.

Aktionspunkte

Hier folgen drei offensichtliche und einfache Aktionspunkte, die Hass im Netz effektiv bekämpfbar machen.

1. Rechtstatbestände schärfen (Gesetzgebende Klarheit)

Zwar ist es richtig, dass die Rechtsverfolgung im Internet und im Darknet nicht einfach ist. Beide sind aber kein rechtsfreier Raum.

Voraussetzung für ein Tätigwerden sind auch im Internet ganz gewöhnliche rechtliche Tatbestände. Erstaunlicherweise fehlt es offenbar an geeigneten einfachen Straftatbeständen zur korrekten Erfassung und Verfolgung solcher Hasstatbestände.

Örtliche Zuständigkeit und sogenannte «Erfolgsdelikte»

Von den öStrafbehörden wurde tatsächlich der Ort des Absendens des Hassmails (in Deutschland) als ihre Unzuständigkeit begründend angesehen – und deshalb nichts weiter unternommen. Trotz der mehrfachen grausamen Morddrohungen wird unter Juristinnen und Juristen immer noch (!!!) mit Hinweis auf verschiedene Rechtskommentare diskutiert, ob die Behörden früher hätten tätig werden können!

➔ Wenn sich selbst Topjuristen im Nachhinein noch streiten, verwundert es nicht, dass einfache Polizeibehörden untätig bleiben. Somit gehören einige Tatbestände renoviert bzw. neue eingeführt, um hier von Anfang an rechtliche Klarheit zu schaffen.

Zuständigkeit erst durch Tod

Es ist an Absurdität kaum zu überbieten, dass sich die Staatsanwaltschaft Wels erst durch den Tod von Frau Doktor Kellermayer für zuständig hält und tätig wurde.

➔ Sollte sich dies tatsächlich als rechtskonform darstellen, so muss es offenbar rasch geändert werden.

Keine Beleidigung durch beleidigende E-Mails möglich

Weiters setzt der Straftatbestand der Beleidigung nach § 115 StGB die Gegenwart von mehreren Personen voraus, so dass eine einfache E-Mail, möge sie noch so schwere und abscheuliche Drohungen enthalten, dafür nicht reicht.

➔ Schwere Beleidigung muss auch per E-Mail als solche strafbar sein.

Keine Ehrverletzung gegenüber verstorbenen Personen

Schliesslich sind Schmähungen und Verhöhnungen von Verstorbenen nicht strafbar, weil der Straftatbestand der Ehrverletzung gegenüber Verstorbenen abgeschafft worden ist.

➔ Die Schmähung von Verstorbenen muss wieder strafbar sein.

Es ist schwer zu begreifen und in keiner Weise entschuldbar, dass es im rechtstaatlichen Kern derartige Regelungslücken gibt. Das ist einfach ein handwerkliches Versäumnis der Rechtspolitik und definitiv kein Problem der Unangreifbarkeit des Internets oder von technischen Beschränkungen.

2. Polizeibehörden schulen (Exekutive Aufmerksamkeit)

Angesichts der Reaktion der Polizeibehörden in Oberösterreich ist zu vermuten, dass es um die Schulung von Polizeibeamtinnen und -beamten in Österreich keineswegs besser bestellt ist als in Deutschland.

Dort hat Jan Böhmermann das Polizeiversagen und das mangelndes Bewusstsein quasi in einem Experiment erprobt und untersucht, mit einem desaströsen Ergebnis. Beamtinnen und Beamte verlangten Ausweise anstatt die Anzeigen anonym aufzunehmen oder lehnten die Anzeigen schlichtweg a limine wegen behaupteter Unzuständigkeit oder fehlender Strafbarkeit ab.

➔ Anstatt eine neue Behörde zu schaffen müssen die bestehenden Beamtinnen und Beamten vor Ort im direkten Kontakt mit der Bevölkerung fokussiert und umsichtig geschult und mit schwerpunktmässig ausgebildeten Personen verstärkt werden.

3. Rechtliche Massnahmen im Austausch mit Social-Media Anbietern umsetzen (Digitale Governance)

Es zeigt sich bei dieser Auflistung, dass die mögliche Säumigkeit oder mangelnde Erreichbarkeit von Social-Media Anbietern erst an dritter Stelle kommt. Wenn schon sinnvolle Straftatbestände und fachlich kundige Behörden fehlen, erscheint es nicht rechtfertigbar, diesen Anbietern zuerst die Schuld zuzuweisen oder sie unabhängig von EU-Regeln haftbar zu machen.

➔ Besser wäre es, die Internet-Dienstleister in einen offenen kooperativen Dialog einzubeziehen und gemeinsame, von Sachverstand getragene Mechanismen zu schaffen, anstatt direkte harte rechtliche Massnahmen zu propagieren (oder gar dumme automatische Filter zu propagieren), denen es noch dazu an Sachkunde fehlt…

Nachruf auf Lisa-Maria Kellermayer

Für Lisa-Maria Kellermayer kommt das leider alles zu spät, falls es überhaupt kommt. Die Ignoranz und Substanzlosigkeit der Reaktionen österreichischer Politiker lässt leider nicht vermuten, dass sich hier etwas bessert.

Mit korrekten Straftatbeständen, geschulten Behördenvertretern und einer proaktiven digitalen Governance kann Hass im Netz wirksam bekämpft werden.

https://www.derstandard.at/story/2000137980213/fall-kellermayr-nichtstun-nicht-weiter-tolerieren

https://www.derstandard.at/story/2000138123056/kampf-gegen-hass-im-netz-es-liegt-am-vollzug

Ganz wichtig war etwa die Neuerung, dass die Beschimpfung von Einzelpersonen in den § 283 StGB (Verhetzung) aufgenommen wurde. Viele Fälle zeigen aber, dass die Ermittlungsbehörden nicht die Ernsthaftigkeit und die Dringlichkeit der Situation erkennen und keine tauglichen Ermittlungsschritte setzen. Es mangelt an Sensibilität und Tatkraft, an Rechtskenntnis, an der technischen Expertise und an der Ausstattung.

Eine weitere zentrale Änderung im Gesetz ist die Wiedereinführung eines Ermittlungsverfahrens bei den Privatanklagedelikten der üblen Nachrede und Beleidigung.

Der Trusted-Flagger-Status, der ihnen ermöglichen soll, dass die Meldungen von rechtswidrigen Inhalten von Plattformen besonders ernst genommen werden und daher rasche Löschungen erfolgen, funktioniert derzeit nicht.